Wohnen

Wie funktioniert „Quartier“?

Quartiersentwicklung in den Wohnungsunternehmen des vdw Niedersachsen Bremen

In einer Umfrage hatten die Mitgliedsunternehmen des vdw Niedersachsen Bremen die Gelegenheit, sich zu allgemeinen Fragen zum Thema Quartiersarbeit/Quartiersentwicklung zu äußern. Die Fragestellungen befassten sich mit dem Stellenwert und der Verortung des Themas Quartiersarbeit/Quartiersentwicklung im jeweiligen Mitgliedsunternehmen, den Handlungsfeldern, die allgemein im Unternehmen bearbeitet werden, den Ressourcen, die für die Quartiersentwicklung zur Verfügung stehen, den Zielen im Unternehmen, die mit der Quartiersarbeit verfolgt werden, und der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, insbesondere den Kommunen. 

1. Stellenwert in den Unternehmen

Für die Wohnungswirtschaft hat das Thema Quartiersentwicklung einen hohen Stellenwert. Die Quartiersentwicklung bietet viele Möglichkeiten, um Quartiere zu verbessern und Nachbarschaften zu stärken.

Der Quartiersgedanke ist ein wesentlicher Bestandteil der strategischen Unternehmensausrichtung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige
Bestandsbewirtschaftung.

Dabei werden soziale Verantwortung und wirtschaftliches Handeln eng miteinander verbunden. Das Wohnquartier ist zukünftig die zentrale Handlungsebene zur effektiven Bündelung von Ressourcen. Die Arbeit in den Quartieren soll daher ausgebaut werden.

Das Wohlbefinden der Mieter/-innen und Mitglieder, aber auch der Quartiersbewohner/-innen, rückt sehr deutlich in den Fokus. In Quartieren, in denen der Wohnbestand sich fast ausschließlich im Besitz eines Mitgliedsunternehmens befindet, hat die Quartiersentwicklung bereits besondere Bedeutung. In Städten, in denen Mitgliedsunternehmen in vielen Stadtteilen durch Liegenschaften vertreten sind, erkennen sie außerdem auch ihre flächendeckende Mitverantwortung an, für ein positives Lebensgefühl in der Stadt einzutreten.

Die Unternehmen wollen den Menschen ein Zuhause bieten, in dem sie sich wohlfühlen.

2. Verankerung im Unternehmen und Ressourcen

Doch wo ist der Quartiersgedanke im Unternehmen verankert?

Anregungen, Ideen und Maßnahmen kommen in den Unternehmen aus vielen Bereichen und werden z. B. durch eine Referentenstelle „Sozialmanagement“ gesammelt, koordiniert und umgesetzt. Dabei werden verschiedene Bereiche von Mieterhilfe über Wohnberatung und Quartiersmanagement bis zu Seniorenarbeit verknüpft.

Eigene Abteilungen für „Quartiersentwicklung“, „Unternehmensentwicklung“ und „Soziales Management“ entwickeln nachhaltige Strukturen in Nachbarschaften. Die konkrete Quartiersarbeit wird als eine fachübergreifende Aufgabe verstanden, in die in der Regel verschiedene Abteilungen involviert sind.

Oftmals ist die Quartiersentwicklung direkt auf Geschäftsführer- bzw. Vorstandsebene verankert und wird durch Mitarbeiter im Bereich Sozialmanagement, Immobilienmanagement oder Bestandsmanagement ergänzt. Auf den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen kann auf diese Weise die unerlässliche Netzwerkarbeit gewährleistet werden.

Nachbarschafts- bzw. Stadtteilvereine – wie z. B. der win e. V. – Wohnen in Nachbarschaften bei der KSG Hannover GmbH in Wiesenau, der Verein Gemeinwesenentwicklung Stadtfeld e. V. des BWV in Hildesheim oder der Verein Stadtteilentwicklung Weststadt e. V. in Braunschweig – sind ein wichtiger Motor zur Selbsthilfe in den Quartieren. Vielfach werden diese durch Wohnungsunternehmen gegründet. Federführend wirken darin zum Teil Vorstandsmitglieder und Mitglieder der Geschäftsführung direkt auch in Vorständen der Vereine mit und prägen dadurch die Arbeit erheblich.

Eine starke Präsenz im Quartier ist für die Unternehmen unerlässlich. Die Ziele von Quartiersentwicklung können nur erreicht werden, wenn die operative Arbeit der Quartiersentwicklung effektiv in die Unternehmensstruktur eingebunden wird. Die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure innerhalb der Unternehmen mit den Fachkräften in den Quartieren stellt die Basis dar. Gemeinsames Ziel ist es, die Mieterzufriedenheit zu erhöhen. Sozialarbeiter vor Ort kennen die Bedürfnisse der Mieter/-innen am besten, da sie in deren Lebenswelt unterwegs sind.

Bei den Wohnungsunternehmen laufen zahlreiche Informationen über die Quartiere zusammen. Sie verfügen über umfangreiches Wissen und Kompetenzen, indem sie das „große Ganze“ betrachten und neben ihren speziellen Fachkenntnissen „über den Tellerrand“ hinausschauen.

Neben den personellen Ressourcen im Bereich Sozialmanagement/Quartiersentwicklung, die häufig eine, teilweise sogar mehrere Vollzeitstellen umfassen, bieten die Unternehmen kostenlos Räumlichkeiten für Projekte und investieren selbst zum Teil sechsstellige Summen pro Jahr zur Förderung von Projekten. Eigenes Personal wird für die Arbeit in der Quartiersentwicklung geschult und weitergebildet.

3. Handlungsfelder

Die Wohnungswirtschaft ist bei ihren Aktivitäten im Quartier in vielen Handlungsfeldern unterwegs. Dies zeigen auch die abwechslungsreichen Beispiele, die zum Thema Quartiersentwicklung für dieses Buch eingegangen sind.

Das Handlungsfeld „Wohnen und Wohnumfeld“ ist bei den Unternehmen natürlich stark vertreten. Themen sind hier Maßnahmen zur Verbesserung und Anpassung von Wohnungen und deren Ausstattungen an die Bedürfnisse der Mieter/-innen und die Aufwertung des Wohnumfeldes zur Optimierung der Wohnzufriedenheit und damit einhergehend der Lebensqualität.

Die Unternehmen haben aber auch innerhalb der Handlungsfelder Schwerpunkte gebildet. Im Kultur- und Bildungsbereich bieten Unternehmen Mietern sowie deren Kindern Möglichkeiten, die formale Schulbildung durch unterschiedliche informelle Bildungsmöglichkeiten zu ergänzen und so mit ihrer Lebenswelt zu verbinden. Kinder und Jugendliche finden in der sozialen Arbeit der Unternehmen im Quartier außerschulische Ansprechpartner, die nicht an öffentliche Einrichtungen (Stadtverwaltung, Jugendamt etc.) gebunden sind. Für Erwachsene werden Freizeit- und Bildungsangebote etabliert, teilweise professionell angeleitet, aber auch von Ehrenamtlichen organisiert. Angebote und Einrichtungen werden zielgruppenorientiert und z. T. generationsübergreifend sowie interkulturell ausgerichtet.

Im Themenbereich „Umwelt und Verkehr“ beschäftigen sich die Unternehmen u. a. mit der Reduzierung von Verkehrs- und Umweltbelastungen. Außerdem ist hier die Mobilitätsoptimierung für alle Altersgruppen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ein großes Thema. Beispielsweise haben Mitgliedsunternehmen die Verlegung einer Bushaltestelle erwirkt und zusätzlich ein Wartehäuschen geschaffen. Ebenso gehören barrierearme Zuwege im Quartier, die Anpassungen von Parkplatz- bzw. Stellplatzsituationen sowie Verkehrsberuhigung von Straßen dazu.

Mit Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung wird ein Schwerpunkt in der Präventionsarbeit gesetzt.

Viele Unternehmen initiieren Projekte jedoch auch unabhängig von Geschlecht, Herkunft, religiösem oder kulturellem Hintergrund. Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Migrationshintergrund finden oftmals ganz selbstverständlich ihren Platz in der „Quartiersgemeinschaft“, ohne dass diese Gruppen noch besonders benannt werden.

4. Ziele der Quartiersentwicklung

Soziale Verantwortung wird in den Mitgliedsunternehmen des vdw Niedersachsen Bremen besonders groß geschrieben. In den Gesellschaftsverträgen und Satzungen der Unternehmen findet sich stets der gemeinwohlorientierte Ansatz.

Durch die Konfrontation der Wohnungswirtschaft mit großen gesellschaftlichen Veränderungen, wie der demografischen Entwicklung oder der Migration, entstehen neue Konflikt- und Problemlagen. Rechtliche, aber vor allem auch personelle Möglichkeiten und notwendige Ressourcen innerhalb der Kommune sind häufig gebunden und stehen nicht zur Verfügung. Was bleibt, ist die Rückbesinnung auf Nachbarschaften und das ehrenamtliche Engagement. Gerade für ältere Menschen kann dadurch ein Leben in den eigenen vier Wänden über einen möglichst langen Zeitraum sichergestellt werden. Dies geschieht nicht nur dadurch, dass Hilfen über verschiedenste Dienstleister etc. angeboten werden, sondern auch Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht wird.

Quartiersbewohner/-innen und damit auch die Mieter/-innen der Wohnungsunternehmen sollen zur aktiven Mitgestaltung des Quartiers angehalten werden. So soll eine starke Bindung und Identifikation mit dem Quartier erzeugt werden. Ziel ist daher die Förderung sozialer Teilhabe und stabiler, funktionierender Nachbarschaften, d. h. „ländliche“ Strukturen in den Städten.

a) Vernetzung, Synergien und Beziehungsgestaltung
Im Bereich der Quartiersentwicklung können Maßnahmen der verschiedenen Akteure effektiv und zielgerichtet gebündelt werden. Die Aktiven im Stadtteil können vernetzt werden und sich gegenseitig unterstützen. Auf diese Weise können Synergien genutzt und ggf. bestehende Missstände (auf menschlicher, räumlicher und sozialräumlicher Ebene) schneller erkannt werden.

Durch die Arbeit vor Ort können Beziehungen zu den Quartiersbewohnern aufgebaut und eine Vertrauensebene hergestellt werden. Die pädagogischen Fachkräfte vor Ort kennen die Mieter/-innen persönlich, können ihre Lebenslagen einschätzen, Konflikte aufnehmen und klären, soziale Probleme aufdecken und in Netzwerken bearbeiten.

Durch die Quartiersarbeit gelingt es, ehrenamtliche Ressourcen zu aktivieren, wie z. B. für die Nachbarschaftshilfe. Quartiersentwicklung trägt dazu bei, dass die Menschen im Quartier in einen Dialog treten, zusammen Probleme angehen und Lösungen erarbeiten, die von einer möglichst großen Zahl an Bewohnern mitgetragen werden. So wird ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt.

Ein unmittelbarer Nutzen hieraus ist ein Rückgang von Nachbarschaftsstreitigkeiten, die teilweise etwa 40 % des gesamten Beschwerdeaufkommens im Wohnungsunternehmen darstellen können.

Die gute Vernetzung zwischen Mietern, Vermietern, Institutionen und ehrenamtlichem Engagement sowie die Kooperationen und Alltagsunterstützung vermeiden eine Singularisierung alleinstehender Personen und ermöglichen ein „Lebenslauf-Wohnen“ im Quartier.

b) Imageverbesserung
Soziale Arbeit leistet einen Beitrag zu einem positiven Image für das Quartier und das Unternehmen. Mittel- bis langfristig sichert ein positives Image die Vermietbarkeit des Bestandes für die Wohnungsunternehmen, mithin auch die Rentabilität des Unternehmens. Durch soziale Arbeit können Quartiere sozial aufgewertet werden. Abwärtsspiralen, die manche Quartiere erleben, können auf diese Weise beeinflusst oder sogar gestoppt werden.

c) Integration
Die Quartiersentwicklung dient der Integration. Unterschiedliche Kulturen können besser beraten und integriert werden. Nachhaltig ausgewogene Nachbarschaften mit einer angemessenen sozialen Durchmischung können die Entstehung insbesondere stigmatisierter Quartiere verhindern. Räumliche Trennungen der meist heterogenen soziokulturellen Strukturen in Bezug auf Herkunft, Ethnie, soziale Lage, Lebensstil und Alter können durch sozial integrative Maßnahmen begrenzt werden. Auf diese Weise lässt sich eine Einheit des Quartiers herstellen und weiterentwickeln. Dadurch kann eine Annäherung der Kulturen und Verständnis der Nachbarn für die jeweils andere Kultur erzeugt werden. Quartiersentwicklung wirkt damit ebenso präventiv wie problembezogen.

d) Messbarer Mehrwert
Durch intakte Quartiere verlängern sich die Wohnverhältnisse, die Leerstandsquote und die Mietrückstände sinken und die Wohnqualität wird verbessert. Ebenso ist der Instandhaltungsaufwand geringer, denn mit Objekten und Außenanlagen, die durch die Bewohner/-innen mitgestaltet wurden, wird erfahrungsgemäß auch besser umgegangen. Die Quartiersentwicklung beinhaltet daher letztlich auch einen monetären Mehrwert. Dieser steht für die Unternehmen des vdw Niedersachsen Bremen jedoch nicht im Vordergrund.

5. Netzwerke, Kommune und Wertschätzung

Entscheidend für eine gelungene Quartiersentwicklung sind tragfähige Netzwerke mit Partnern vor Ort. Dazu zählen z. B. ambulante Dienstleister, Stadtjugendpflege, Vereine für Integrationsarbeit, Träger für den Bereich des ambulant unterstützten Wohnens (Behindertenwerkstätten), Kirchengemeinden, Schulen, Jugendzentren, Freie Träger, die Bewohner/-innen des Quartiers sowie die Kommune. Auch Unternehmer/-innen und Geschäftsleute werden einbezogen. Diese Netzwerke sind die Entstehungsorte für konkrete Projekte im Quartier. Sie bilden die Vielfalt der Tätigkeit der Protagonisten vor Ort ab. Die Herausforderung liegt darin, diese Netzwerke aufzubauen und zu steuern. Wichtig ist dabei, möglichst ergebnisorientiert und zielgerichtet zu agieren, um Parallelstrukturen zu vermeiden.

a) Verschiedene Netzwerke
Familie, Bekannte, Freunde und Nachbarn bilden die persönlichen Netzwerke. Institutionen, Gruppen und Einrichtungen direkt im Quartier stellen unmittelbare institutionelle Netzwerke im Quartier dar. Diese Kooperationspartner sind Experten im Quartier. Durch die Vernetzung kann ein regelmäßiger Austausch über Entwicklungen im Quartier etabliert, aber auch um Angebote an die Bedarfe der Bewohner/-innen angepasst werden. Personen und Gruppen, die als „widerwillige Akteure“ gelten, aber eine wichtige Rolle im Prozess darstellen, gilt es zu überzeugen.

Im erweiterten Netzwerk sind Träger, Einrichtungen und Akteure auch außerhalb des Quartiers verbunden, die sich zu übergreifenden Themen austauschen. Sie sind eher strategische Netzwerke und weniger operativ.

b) Kommune
Die Zusammenarbeit mit der Kommune spielt im Quartier eine große Rolle. Seitens der Kommune können Impulse gesetzt werden, um gemeinsam mit allen Akteuren alters- und generationenübergreifende Konzepte für die Stadtquartiere der Zukunft zu entwickeln. Erforderlich ist ein interdisziplinäres Denken in allen Bereichen. Wohnungswirtschaftliche, städtebauliche und soziale Aufgaben müssen zusammengedacht werden und eine frühzeitige Einbindung aller Beteiligten in Prozesse und ämterübergreifende Planung stattfinden. Dies ist nicht allein mit immobilienwirtschaftlichen Instrumentarien zu bewältigen. Ebenso ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Kommune und Land erforderlich.

c) Wertschätzung
Der Wert sozialer Arbeit und damit auch der Arbeit in den Quartieren sollte gesamtgesellschaftlich mehr geschätzt werden. Schon kleine Projekte zur Hausaufgabenhilfe verhindern schulische und berufliche Misserfolge. Die meisten Projekte dieser Art sind jedoch ausschließlich auf Spenden bzw. Ehrenamtlichkeit angewiesen. Dieses Ehrenamt braucht eine hauptamtliche Begleitung in den Kommunen. Wichtig ist eine Verantwortungsübernahme für die Prozesse vor Ort.

Ehrenamtliches Engagement lebt von Wertschätzung. So können weitere Freiwillige gewonnen werden, die erarbeitete Konzepte, Projekte und immer neue Zielvorstellungen in die Tat umsetzen. Sollen Inklusion, Integration und eine umfassende Bildung für alle Bevölkerungsschichten ermöglicht werden, erfordert dies ein gestärktes Ehrenamt und einen hohen personellen Aufwand in den öffentlichen Institutionen zur Unterstützung der Prozesse in den Quartieren.