Quartiersentwicklung und Quartierszentrenbildung

Quartiersentwicklung und Quartierszentrenbildung – Eine zukunftsorientierte Aufgabe für Kommunen

1. Hintergrund

In einer älter werdenden Gesellschaft gewinnt der Wunsch nach selbstständigem Leben und Wohnen bei guter Lebensqualität bis ins hohe Alter zunehmend an Bedeutung. Alle Bevölkerungsprognosen gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren die Zahl älterer und hochaltriger Menschen ansteigen wird. Vor allem sorgen weiter ansteigende Lebenserwartung und der Eintritt der sogenannten „Babyboomer“ in die nachberufliche Phase für eine deutliche Verschiebung der zahlenmäßigen Anteile älterer und jüngerer Menschen. Diese Entwicklung hat immense Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben.

Der medizinisch-technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat die Entwicklung zu einer Gesellschaft des langen Lebens unterstützt und fördert sie weiterhin.

Neben der positiven Perspektive eines längeren Lebens und des aktiven Alter(n)s müssen auch diejenigen Älteren unterstützt werden, die wegen Pflegebedürftigkeit, geistiger, körperlicher und/oder seelischer Einschränkungen sowie chronischer oder demenzieller Erkrankungen nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Lage sind, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In welchem Maße die Zahl älterer Menschen mit einer weniger positiven Perspektive in einzelnen Kommunen ansteigen wird, ist bisher nicht genau prognostizierbar. Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von 2013 bis 2030 um etwa 1,2 Mio. Personen auf 3,83 Mio. Pflegebedürftige zunehmen wird.

Für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf sowie für deren Angehörige muss es darum gehen, tragfähige Unterstützungs- und Teilhabeangebote vorzuhalten, die die Angehörigen entlasten und Pflegebedürftigkeit hinauszögern.

Die demografischen Veränderungen erfordern von den Kommunen eine zukunftsfähige Gestaltung integrierter Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen. Die bisherigen Versorgungsstrukturen reichen für die bevorstehenden Aufgaben nicht aus, so dass Kommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge zukünftig noch stärker darauf hinwirken müssen, dass bedarfs- und bedürfnisgerechte sowie zugleich kostengünstige Angebote für alle vorgehalten werden. Damit geht einher, dass Kommunen sowohl bestehende als auch neu entstehende Versorgungslücken identifizieren und diese in Kooperation mit Partnern vor Ort schließen.

Quartiersentwicklung übernimmt in diesem Zusammenhang sowohl im städtischen Raum als auch in vergleichbar zu fassenden lokalen Räumen der ländlichen Regionen (im weiteren Text wird insges. vom Quartier gesprochen) eine zentrale Rolle.

Im Quartier haben die Kommunen die Aufgabe, gemeinsam mit den Partnern vor Ort Abstimmungs- und Beteiligungsprozesse zu organisieren. Voraussetzung dafür ist ein offener zielorientierter, vom Miteinander und gemeinsamen „Gestaltenwollen“ getragener Umgang unter den beteiligten Akteuren.

Eine quartiersnahe Versorgung erfordert einen neu arrangierten Hilfe-Mix von sozialer Unterstützung (Familien, Nachbarschaften, bürgerschaftlichem Engagement), professionell erbrachten Leistungen (Wohlfahrtspflege, privatgewerbliche Anbieter, Wohnungswirtschaft, Kommune) und kommunaler Gestaltung/Steuerung von Sozialraum-/Quartiersentwicklung (Vogt-Janssen, Dagmar: Von der versäulten Versorgungsstruktur zu einem bedürfnisgerechten Sozialraum – Die kommunale Daseinsvorsorge vor neuen Aufgaben, in: Wohnen und die Pflege von Senioren, Becher, Berthold u. Hölscher, Martin (Hrsg.), Hannover 2015, S. 349 – 362 (361).

Ganz wesentlich für den Erfolg einer Quartiersentwicklung ist es im Übrigen, die gesellschaftlichen Veränderungen in den Bereichen Wohnen, Pflege, Gesundheitsversorgung und lebensräumlicher Infrastrukturentwicklung in einem interdisziplinären und kooperativen Dialog mit allen relevanten Akteuren zu entwickeln und umzusetzen.

(Alter(n)sgerechte) Quartiersentwicklung ist ein zentrales Thema – stationäre Einrichtungen öffnen sich bundesweit für umliegende Wohnquartiere. Ambulante Strukturen werden ausgebaut – weg von einer reinen Versorgungs- und stärker hin zu einer Mitwirkungsgesellschaft.

Quartiersentwicklung ist langfristig geeignet, passgenaue und nachhaltige Strukturen für die bevorstehenden gesellschaftlichen Veränderungen zu schaffen. Gleichermaßen liegt darin die Chance, zukunftsorientierte Infrastrukturen für Kommunen gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und Akteuren vor Ort zu entwickeln.

2. Flexibilität in der Versorgung

In den kommenden Jahren wird es auf kommunaler Ebene auch verstärkt darum gehen, zusätzliche Kapazitäten in der pflegerischen Versorgung aufzubauen.

Leistungsangebote mit rehabilitativen stationären Pflegemöglichkeiten, Aus- und Aufbau von Tages- und Nachtpflege sowie die Möglichkeit, z. B. im Falle einer vorübergehenden stationären Versorgung wegen Pflegebedürftigkeit oder bei längerem Krankenhausaufenthalt, die eigene Wohnung beizubehalten, so dass eine Rückkehr in die eigene Häuslichkeit möglich bleibt, sind Beispiele für eine neue bedarfs- und bedürfnisbezogene Infrastruktur.

3. Ziele

Ziel von Quartiersentwicklung und sozialer Infrastrukturentwicklung muss es deshalb sein, unabhängig vom jeweiligen Lebensalter, Teilhabe und Selbstbestimmung sicher zu stellen. Ein solidarischeres Einstehen füreinander auch außerhalb der rein familialen Bindungen wird über die Arbeit in den Quartieren und den Auf- und Ausbau sozialer Netzwerke verbessert, so dass gleichzeitig auch die Grundlage für eine neue Kultur der Unterstützung, des Miteinanders und der Sorge füreinander („community that cares“) geschaffen wird. Aktivitäten und Projekte, die den Generationendialog fördern, gehören ebenso dazu.

In der Stadt Hannover stehen zudem Aktivitäten und Projekte im Vordergrund, die Hannover auf dem Weg zu einer inklusiven Stadt unterstützen, die soziale Integration fördern und über die Identifikation mit dem Wohnumfeld zu einer höheren Zufriedenheit und zu lebendigen Nachbarschaften führen.

Mit alter(n)sgerechter Quartiersentwicklung wird auch der vor allem im Alter gefürchteten und viel zu häufig eintretenden Isolation und Vereinsamung entgegengetreten. Es werden Rahmenbedingungen geschaffen, die eine selbstständige Lebensführung, unabhängig von Lebensalter, Geschlecht, sozialer Lage, gesundheitlichem Befinden und ethnischem Hintergrund ermöglichen.

Leitbild der Entwicklung eines Wohnquartiers ist in Hannover „Eine Stadt für Alle“.

Weiteres Ziel von Quartiersentwicklung muss es sein, eine Steuerungsfunktion im Sozialraum zu übernehmen. Dazu braucht es eine Organisationsstruktur, die neben der Kontinuität von Ansprechpartnern und fachlicher Kompetenz in sozialräumlicher Arbeit, bürgerschaftlichem Engagement/Ehrenamt und Netzwerkarbeit auch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie der übrigen Akteure im Quartier ermöglicht, um eine integrierte auf den Sozialraum bezogene Versorgungsstruktur auf- und auszubauen (Vogt-Janssen, Dagmar, ebenda, S. 357).

Aufgabe der Kommunen ist es, im Quartier mit Partnern die erforderlichen Abstimmungs- und Beteiligungsprozesse zu organisieren und deren Umsetzung zu fördern. Sie haben die quartiersnahen Entwicklungsprozesse zu moderieren, auf das Erreichen der angesteuerten Ziele hinzuwirken, den Erfolg zu überwachen und ggf. Fehlentwicklungen gegenzusteuern.

4. Konzeption alter(n)sgerechte Quartiersentwicklung Hannover

I. Die alter(n)sgerechte Quartiersentwicklung in Hannover umfasst vier große Handlungsfelder, die jeweils weitere Arbeitsfelder einschließen
(Seniorenplan 2016 der Landeshauptstadt Hannover, Das Alter hat Zukunft)

1. Zukunftsorientierte Wohnformen ausbauen
2. Bürgerbeteiligung und aktive Teilhabe fördern
3. Versorgungssicherheit fördern
4. Generationendialog ermöglichen

II. Vorgehensweise

Methode Ideenwerkstatt
Die alter(n)sgerechte Quartiersentwicklung in Hannover hat mit Ideenwerkstätten (70 – 90 Teilnehmer) begonnen. In diesen Großgruppenkonferenzen erhielten die Teilnehmenden (Bürger aus dem Quartier, Betriebe, Wohlfahrtsverbände, Wohnungsunternehmen u. a.) die Möglichkeit, einen ganzen Tag lang eigene Themen für ihr Quartier zu benennen, sich an bis zu 12 Workshops zu beteiligen und über das weitere Vorgehen durch Priorisierung der Ergebnisse mitzubestimmen.

Dokumentation der Ideenwerkstatt
Die Veranstaltungen und Ergebnisse sind dokumentiert und den TeilnehmerInnen und weiteren Interessierten zur Verfügung gestellt worden.

Benennung eines/einer Quartierskoordinators/-in
Zur weiteren Bearbeitung der Ergebnisse der Ideenwerkstatt wurde für jedes Quartier ein/e Quartierskoordinator/-in eingesetzt, der/die ein Büro vor Ort erhielt und Ansprechpartner/-in für alle Belange im Rahmen der Quartiersentwicklung ist (sog. Kümmererfunktion).

Aufbau einer Planungsrunde offene Seniorenarbeit und alter(n)sgerechte Quartiersentwicklung
Die Planung der alter(n)sgerechten Quartiersentwicklung geschieht über die „Quartiersplanungsrunde“. Hier finden in regelmäßigem Turnus Sitzungen statt. In diesem Gremium werden Vorgehensweisen, Maßnahmen und weitere Planungen abgestimmt.

Sozialraumanalyse
In jedem Quartier erfolgt eine Analyse des Sozialraums, die sich auf die soziodemografische Entwicklung und die daraus resultierenden Erfordernisse für die nächsten Jahre bis 2030 bezieht. Mit der Sozialraumanalyse werden neben den Ergebnissen aus der Ideenwerkstatt ggf. weitere Bedarfe herausgearbeitet, die anschließend in der Planungsrunde (Ziff. 4) behandelt werden.

Jährliches Quartiersforum
Die Planungsrunde (Ziff. 4) organisiert einmal pro Jahr ein Quartiersforum, bei dem Interessierten aus dem Quartier der bisherige Entwicklungsstand und die weiteren Planungen dargelegt und neue Impulse aus dem Kreis der Teilnehmenden aufgenommen werden.

Aufbau eines virtuellen Nachbarschafts-Netzwerks
Gemeinsam mit „nebenan.de“ wurde im Rahmen der alter(n)sgerechten Quartiersentwicklung ein virtuelles Nachbarschafts-Netzwerk als bundesweit erste Kooperation zwischen einer Kommune mit dieser Nachbarschaftsplattform installiert, die sowohl Tausch-, Veranstaltungs- als auch Unterstützungsfunktionen bietet.

Qualitätssicherung
Sämtliche Maßnahmen und Projekte der alter(n)sgerechten Quartiersentwicklung unterliegen der Qualitätssicherung und werden hinsichtlich ihrer Geeignetheit, Umsetzbarkeit, Ressourceneinsatz, Kosten, Partizipationsmöglichkeit und Zielerreichung beurteilt.

Ausweitung auf andere Stadtquartiere
Eine Ausweitung der Konzeption auf weitere Quartiere ist bereits über Träger von stationären Pflegeeinrichtungen und anderen Akteuren im Stadtgebiet Hannovers erfolgt.

5. Quartierzentrenbildung und sektorenübergreifende Versorgung vor Ort

Die Ausrichtung stationärer Pflegeeinrichtungen als Quartierszentren, die in Vernetzung mit den anderen Akteuren – z. B. Wohlfahrtsverbänden, Wohnungswirtschaft, ambulanten Pflegediensten, Kommune, Sportvereinen – eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgung im Quartier zur Verfügung stellen, spielt eine immer wichtiger werdende Rolle.

Wichtig sind hierfür in einem ersten Schritt Konzepte, die Aussagen zum Dienstleistungsangebot des jeweiligen Quartierszentrums enthalten. Bereits vorhandene Infrastrukturen aller relevanten Akteure im Quartier sind im Konzept aufzunehmen. Notwendige Angebotserweiterungen der beteiligten Pflegeeinrichtungen zu Quartierszentren sind immer in Kooperation mit den Akteuren vor Ort und vorhandenen oder neu zu bildenden Netzwerken auszudifferenzieren (z. B. gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden, Wohnungswirtschaft, privatgewerblichen Anbietern, Kommune). Eine Abstimmung mit Vertretern der Pflegekassen ist zu den neu zu bildenden Quartierszentren kontinuierlich vorzunehmen, um eine sektorenübergreifende Versorgungsstruktur entsprechend der zuvor zu entwickelnden Zielvorgaben umzusetzen. Dies kann z. B. in Form von sektorenübergreifenden Versorgungsverträgen mit den Pflegekassen und Kooperationsvereinbarungen mit Akteuren vor Ort geschehen.

Zentrale Aspekte eines Quartierszentrums sind die Verbesserung von Versorgungschnittstellen durch Aus- und Aufbau von Versorgungsketten. Zugleich werden damit Komplexeinrichtungen gefördert, die sowohl ambulante und häusliche als auch stationäre Versorgungsangebote bereithalten.

Bausteine von Quartierszentren sind z. B.: Case- und Care-Management, neutrale Informations- und Beratungsstellen, Versorgung in der Häuslichkeit im Wohnumfeld – sektorenübergreifender Versorgungsvertrag, Tagespflegeeinrichtungen, Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft zu neuen Wohnformen, Kooperationen mit Haus-, Zahn- und weiteren Fachärzten und anderen Gesundheitsdienstleistern.

6. Ausblick

In der Altenhilfe haben Quartierskonzepte mit einem bedarfsgerechten Versorgungsmix mit stationären und ambulanten Versorgungsleistungen, neuen oder betreuten Wohnformen, Informations- und Beratungsstellen sowie neu aufgestellten Tages- und Nachtpflegeangeboten und einer Anbindung von Nachbarschaftsinitiativen und Vereinen vor Ort einen hohen Stellenwert.

Die Pflegestärkungsgesetze (PSG) I-II förderten insbesondere ambulante und teilstationäre Angebote. Das Leistungsportfolio stationärer Pflegeanbieter wird vielerorts bereits um ambulante und teilstationäre Pflegelösungen ergänzt.

Die Kommune hat eine Stärkung in der Rolle der Planerin und Gestalterin von Pflegestrukturen und Förderin von Vernetzung durch das PSG III erfahren; wenn auch nicht in dem Maße, wie es sich die kommunalen Vertreter/-innen gewünscht haben.

Auf einer Veranstaltung zur Neuausrichtung stationärer Pflegeeinrichtungen am 18. Mai 2017 in Hannover unter Beteiligung des vdw, ambulanter und stationärer Pflegeanbieter, Wohlfahtsverbänden u. v. a. m. wurde der Trend zu quartiersbezogenen Komplettangeboten für Ältere und zur Vernetzung diverser Akteure bestätigt. Angebote aus einer Hand sind genauso nachgefragt, wie Versorgungsangebote der Wohnungswirtschaft für Ältere, Tagespflegen und „Houses of Life“ mit stationärer Pflege, betreutem Wohnen, Pflege von Jüngeren und ambulanten Diensten.

Quartiersentwicklung und Quartierszentrenbildung – eine zukunftsorientierte Aufgabe mit vielen Beteiligten.

Fr. Vogt-JanssenDagmar Vogt-Janssen

Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Senioren, stellv. Fachbereichsleitung und Bereichsleiterin Kommunaler Seniorenservice Hannover

Der Kommunale Seniorenservice Hannover bietet Informationen und Beratung rund um das Alter, über Freizeitangebote der Offenen Seniorenarbeit in Hannover, Treffpunkte und Beratung in allen Stadtteilen, ehrenamtliche Mitarbeit, Pflege- und Wohnberatung, Hilfsangebote und Mobile Einzelfallhilfe, Vermittlung zu Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, Heimaufsicht.

www.seniorenberatung-hannover.de